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10.07.2020

Durch die Krise mit politischem Anschub

Von hundert auf null und wieder zurück: Der gelungene Re-Start der Friseure nach der Corona-Vollbremsung ist auch ein Ergebnis intensiver politischer Lobbyarbeit.

Im März hat das Corona-Virus rund 80.000 Friseursalons in Deutschland lahmgelegt. Wir haben die Zeit von Shutdown bis Re-Start Revue passieren lassen und hinter die Kulissen geschaut – auf die Arbeit von Handwerksverbänden, ZV, Innungen und Berufsgenossenschaft für Gesundheitsdienst und Wohlfahrtspflege (BGW).
  

Es war der 16.3. um 10 Uhr als in Bayern der Katastrophenfall ausgerufen wurde. Viele Geschäfte mussten schließen, Friseure als Dienstleistungsbetriebe durften zunächst geöffnet bleiben. Am 23.3. dann der endgültige Shutdown, auch für die Friseurbranche. Diese Woche vom 16. bis zum 23. März wurde heiß diskutiert, manche Friseure starteten Petitionen für eine Schließung, andere waren froh, noch etwas verdienen zu können. Dass Friseurbetriebe in diesen Tagen als für die Grundversorgung wichtig eingestuft wurden und dadurch länger am Markt waren, lag auch am Einwirken der Landesverbände und des Zentralverbands des Deutschen Friseurhandwerks (ZV) auf die politischen Entscheidungsträger. „Diese Verlängerung, auch wenn es nur wenige Tage waren, hat Existenzen gesichert“, ist Jörg Müller, ZV-Hauptgeschäftsführer, sicher. Zeitgleich hat der ZV noch vor dem endgültigen Shutdown eine „Blitzumfrage“ gestartet, um Meinungen und Stimmung der Friseure einzuholen, die dann als Basis für politische Argumente dienten. Ein „Faktencheck“ informierte über erste Unterstützungsangebote und Anlaufstellen.

Kräfte bündeln für erste Hilfen

Vier Säulen beschreibt Jörg Müller, die die Zeit von Shutdown bis Re-Start markierten:

  1. Zügig finanzielle Hilfe von der Politik einfordern.
  2. Information und Hilfestellung geben.
  3. Einen schnellen Re-Start erreichen und
  4. Überzeugungsarbeit für sichere Friseurdienstleistung in der Pandemie bieten.

Ab dem unvermeidbaren Shutdown galt es Kräfte zu bündeln. Gemeinsam mit dem Zentralverband des Deutschen Handwerks (ZDH), den Handwerkskammern, Innungen und dem Unternehmerverband des Deutschen Handwerks (UDH) wirkte der ZV massiv auf die Erhöhung der Soforthilfe, Kurzarbeitergeld und die positive Ausgestaltung der Kreditprogramme ein. Die ersten Positions­papiere wurden aufgesetzt.

Info nach innen

Über das ZV-Infoportal konnten sich Friseure ab dem 26.3. informieren, wo sie in ihrem Bundesland Hilfe finden. Der Austausch und die Info nach innen hatte für den ZV Prio 1 in einer Zeit, in der sich die Ereignisse überschlugen und gefühlt stündlich neue Entscheidungen getroffen wurden. Mehrmals wöchentlich fanden Gespräche mit den Innungen, mit Verbänden wie dem VDF (Verband Deutscher Friseurunternehmer), der Intercoiffure und der Industrie statt. „Die Fachpresse hat schnell die wichtigsten Infos kommuniziert und auch in den sozialen Netzwerken auf dem Laufenden gehalten. Das war in dieser Zeit extrem wichtig“, betont der ZV-Hauptgeschäftsführer.

Prof. Dr. Stephan Brandenburg, Hauptgeschäftsführer der BGW >< Foto: BGW / Jan Haeselich

Eigeninitiativ nach Lösungen suchen

Den Blick nach vorn richten und einen schnellen Re-Start erreichen: So wie viele Friseure bereits kurz nach dem Shutdown kreativ wurden, ihre positive Energie in Erfindungsreichtum steckten, um ihr Geschäft coronatauglich zu machen, so kämpfte der ZV gemeinsam mit der BGW und dem ZDH an der politischen Front für eine schnelle Wiederöffnung der Friseursalons. „Wie kann man 16 Ministerpräsidenten davon überzeugen, dass Friseurhandwerk in einer Pandemie funktionieren kann?“,  lautete nun die zentrale Frage.

„Der Shutdown am 23. März war unvermeidlich: die hohe Ansteckung, zu wenig Schutzmaterial. Das haben die Verantwortlichen beim Zentralverband genauso gesehen wie wir“, erinnert sich Prof. Dr. Stephan Brandenburg, Hauptgeschäftsführer der Berufsgenossenschaft für Gesundheitsdienst und Wohlfahrtspflege (BGW). Umso positiver bewertet es der Experte, wie innovativ und früh sich das Friseurhandwerk selbst auf den Weg gemacht hat, um Lösungen zu finden.

Arbeitsauftrag der Bundesregierung

Mitte April gab das Bundesministerium für Arbeit und Soziales zehn Maßnahmen für Arbeitsschutz in der Pandemie als zentrales Momentum heraus – und beauftragte die Berufsgenossenschaften, diese in branchenschutzbezogene Standards zu überführen. Der Startschuss für die Finalisierung der bereits geleisteten Vorarbeit. „In der Dienstleistung ist Arbeitsschutz gleich Kundenschutz. Durch Einhalten der Schutzstandards schützt jeder alle Beteiligten.“ Mit diesem Leitmotiv gingen die Expertenteams von ZV, BGW und nun auch Verdi in die Gespräche und die Ausarbeitung.

Friseure mit ersten Schutzstandards

„Es gab eine klare Rollenverteilung: Der ZV ist die Institution, die weiß, worauf es bei den Friseuren ankommt und was praktikabel ist, wir als BGW sind die Sachkundigen, die wissen, was im Sinne des Infektionsschutzgesetzes möglich ist“, so Prof. Brandenburg. Die Friseure wollten so schnell wie möglich wieder arbeiten, dafür kämpften alle Beteiligten. Ergebnis: Das Friseurhandwerk brachte die ersten Arbeitsschutzstandards überhaupt heraus. „Das war ein hervorragendes Signal und eine wichtige vertrauensbildende Maßnahme: Eine Woche vor dem Ans-Netz -Gehen hatten die Friseure der ­Politik ihre Arbeitsschutzstandards vorgelegt und sie überzeugt. Das war schon bemerkenswert“, so Brandenburg.

Vorbildliche Umsetzung im Salon

Dass die Betriebe jetzt wieder am Markt sind, sei der Zusammenarbeit aller Salons, dem Handwerk, den Landesverbänden, der BGW und der Fachpresse zu verdanken, ist Jörg Müller vom ZV sicher. Inzwischen arbeiten die Betriebe seit gut zehn Wochen mit den Hygienestandards. Das Schutzziel sei definiert, sagt BGW-Experte Brandenburg. Mit Blick auf dieses Ziel hätten die Friseure kreative Möglich­keiten der Umsetzung aller Standards.
   „Das Friseurhandwerk steht in der Umsetzung gut da. Die Betriebe nehmen es ernst und bemühen sich, alles gut zu machen.“ Vom  15. bis 30. Mai waren 127 Betriebe überprüft worden. In 75 Prozent der Salons wurden die Vorgaben vorbildlich und vollständig umgesetzt. Die Friseure seien extrem bemüht, alles richtig zu machen, so Brandenburg. Das zeigten auch die mehr als 270.000 Downloads der Arbeitsschutzstandards und Umsetzungshilfen auf der BGW-Homepage und die hohe Inanspruchnahme der telefonischen Beratung.

Nicht nachlassen!

Die Anstrengungen, sich sorgfältig zu verhalten, dürfen nicht nachlassen. Dazu Dr. Johanna Stranzinger, Fachärztin für Arbeitsmedizin in der BGW: „Die Gründe für die Standards müssen nachvollziehbar und transparent sein, dann können Friseure und Kunden damit umgehen. Es gibt immer wieder Diskrepanzen, Veränderungen und offene Fragen zu den Übertragungswegen, z. B. in puncto Getränke, Zeitschriften oder Haarewaschen vor Farbdienstleistungen. Wir prüfen und bewerten das Infektionsrisiko stetig neu, um im Sinne der Prävention auf Nummer sicher zu gehen.“ Wichtig sei, immer auf die Veröffentlichungen des jeweiligen Bundeslandes zu achten, denn je nach regionalem Stand der Infektionen gebe es unterschiedliche Vorgaben. Dass auch politische Interessen in Landesvorgaben einfließen und dies teilweise zu Verwirrung und Unverständnis führt, lässt Jörg Müller nicht unerwähnt. Hier verweist er auf die Landesinnungsverbände und den ZV, die individuell Auskunft über die Beschlüsse der Landesregierungen und Kommunen geben.

Positivbeispiel Friseure

Die positiven Eindrücke aus den Stichproben seien im Moment enorm wichtig, betonen BGW und ZV. Denn, so Jörg Müller, die Sorge, ein Salon könnte zum Viren-Spreader werden, sei da. Die öffentliche Meinung ist entscheidend. „Wir müssen verhindern, dass Friseure negative Schlagzeilen im Zusammenhang mit der Pandemie bekommen, denn bei den Kunden herrscht immer noch große Unsicherheit.“ Friseure sind Hygiene-Botschafter und -experten. Das soll auch die Kampagne #friseuregegencorona zeigen, die der ZV gemeinsam mit dem Industrieverband Körperpflege und Waschmittel (IKW) ins Leben gerufen hat. Dass das Friseurhandwerk als Vorreiter und Positivbeispiel in Deutschland wahrgenommen wird, liegt auch an der intensiven Pressearbeit des ZV und der Verbände. Tagesschau, Tagesthemen, n-tv, heute journal sowie zahlreiche Publikumsmedien wurden bedient, im Shutdown Hunderte von Interviews, auch von einzelnen Friseuren gegeben. Auch das ist Lobbyarbeit für das Friseurhandwerk.

Vertrauen in Interessenvertretungen

Der ZV arbeitet daran, die Schutzmaßnahmen stetig praxisgerechter zu machen. Die tägliche Arbeit in den Betrieben soll leichter werden, siehe zum Beispiel das gelockerte Abstandsgebot bei Ausbildung und Prüfung. „Es ist ein ­Ongoing Process und ich hoffe, dass sich alles weiter zum Positiven entwickelt. Doch es wäre falsch, in wenigen Wochen an ein Ende der Maskenpflicht zu denken“, so Jörg Müller. Er appelliert aber an die Betriebe, bei aller Vorsicht die Ausbildung nicht zu vergessen, denn diese sei wichtig, um auch in Zukunft die Ertragslage zu sichern. Man bleibe als ZV an allen Themen dran und setze sich mit politischer Schlagkraft für die Branche ein, darauf könnten Friseure vertrauen. „Wir sind eine besondere Branche, das hat sich in der Krise gezeigt. Es gab tolle Ideen und Erfindungen, viele Lösungsansätze. Wir haben im Friseurhandwerk bewiesen, dass wir die Krise meistern können.“

Text: Susanne Vetter