01.07.2020

Mehrwertsteuersenkung: So sieht es die Branche

Ab dem 1. Juli gilt für sechs Monate ein reduzierter Mehrwertsteuersatz von 16 statt 19 Prozent. Wie geht die Branche damit um? Wir haben nachgefragt.

ZV-Präsident Harald Esser sieht in der Senkung der Mehrwertsteuer und der Weitergabe an die Kunden, eine Chance, für die Salons, ein positives Signal zu setzen: "Viele Kunden sind zurzeit in Kurzarbeit, eine entsprechende Preissenkung und deren Kommunikation sorgt für eine gute Außendarstellung und ist ein guter Anreiz für den Friseurbesuch in der Krise."
Lesen Sie hier das Interview mit dem ZV-Präsidenten

Vielen Friseuren ist die Umstellung zu aufwändig oder sie sehen den "Gewinn" als Ausgleich für ihre gestiegenen Hygieneausgaben, geben den Steuervorteil an ihre Mitarbeiter weiter oder einen Rabatt auf den Produktverkauf. "Profitieren werden nur die Mini-Salons", glaubt Branche-Experte Ralf Osinski und erklärt warum (ganz unten). 

Stefan Hagens & Rainer Kaemena - Hairliner's Bremen

Viele Gedanken um das Thema Mehrwertsteuersenkung hat sich auch Stefan Hagens, Inhaber des Salons Hairliner’s in Bremen gemacht. Für ihn standen vor allem drei Punkte im Fokus: „Mein Gefühl sagt mir, unsere Kunden erwarten, dass wir die Mehrwertsteuer nicht senken, denn sie sind eher negativ eingestellt, was die Umsetzung angeht. Aber im Hinterkopf wären diese Unternehmen dann wohl doch eher – zumindest am Anfang – die ,Verlierer der Herzen‘“, glaubt Hagens. Punkt 2: „Der Aufwand für unser System wäre machbar, aber schon hoch. Die Software gibt nur die automatische Änderung der Buchungen auf das Umsatzsteuer-Konto her, jedoch nicht die Änderung der bei uns hinterlegten Brutto-Preise. Also müssten wir in allen Filialen die Preise quasi manuell neu berechnen und ändern. Das gleiche für die Homepage, wo wir ja nicht nur die Preisliste haben, sondern auch einen Preisrechner als Service.“ Als dritten Punkt führt er noch die Preisliste in den Schaufenstern seiner Salons an: „Diese müssten für alle Salons neu gestaltet werden und dann von einem Fachbetrieb gedruckt und montiert werden. Ein recht teurer Spaß, denn die Gestaltung bei uns ist sehr hochwertig. Das alles jetzt … und in sechs Monaten wieder zurück!“

Der Aufwand ist Hagens und seinem Geschäftspartner Rainer Kaemena zu hoch – und dennoch will man die Senkung der Mehrwertsteuer gerne an die Kunden weitergeben: „Deswegen werden wir ab dem 1. Juli die Dienstleistungspreise einfach durch einen ,Rabatt‘ reduzieren. Das ist problemlos mit dem Kassensystem möglich. Wir ziehen dann bei jeder einzelnen Buchung 2,5% Rabatt ab. Und damit die Kundin auch versteht warum, bekommt sie an der Kasse von unseren Rezeptionistinnen mit dem Kassenbon eine Klappkarte und einen Cupcake überreicht.“

Stefan Hagens freut sich schon auf die Gesichter seiner Kunden und ist sich sicher, so einen guten Weg gefunden zu haben, die Senkung der Mehrwertsteuer zum Vorteil für sein Unternehmen zu nutzen.

 

Dieter Bonk Foto: Klinck GmbH
Dieter Bonk Foto: Klinck GmbH

Dieter Bonk, Geschäftsführer Klinck GmbH

TOP HAIR: Wie gehen Sie mit der Senkung der Mehrwertsteuer um, geben Sie diese an Ihre Kunden weiter?

Dieter Bonk: Dazu würde ich gerne etwas lesen, was mir eine klare Vorgabe gibt. Bislang sehe ich für mich keine Vorgabe der deutschen Regierung, dass man als Unternehmen verpflichtet ist, diese Senkung weiterzugeben. Ich denke, es wird eher eine Imagesache sein. Wir werden es in irgendeiner Form tun müssen. Wahrscheinlich wird das bei uns aber erst ab dem 2. Monat so sein. Ein weiterer Gedanke von mir ist, dass wir es als Solidaritätsbekundung an unsere Mitarbeiter weitergeben und das dem Kunden gegenüber auch so vermarkten. Ich will das Geld nicht haben, so dramatisch sieht es bei uns nicht aus und ich finde es auch ethisch nicht tragbar. Ich will das Geld sinnvoll weitergeben. Die Frage ist, ob der Kunde das akzeptiert, wenn es an die Mitarbeiter geht, die schon genug Einbußen hatten. Kann man es auch als Corona-Prämie auf ein Konto legen und dann gesammelt als Sonderbonus an die Mitarbeiter auszahlen? Darf man das überhaupt? Das lasse ich gerade prüfen!"

 

Anne Niemann und Hubert Funke, Geschäftsführer der Hair Company
 

"Wir von der Hair Company haben uns mit unseren 42 Salons bewusst dazu entschieden, die temporäre Mehrwertsteuersenkung ab dem 01.07.2020 NICHT durch eine Preisanpassung von 3% an unsere Kunden weiterzugeben. Diese Entscheidung mag vor allem aus Kunden- bzw. Endverbrauchersicht zunächst auf Unverständnis stoßen.

Hauptziel aller Rettungsschirmmaßnahmen der Bundesregierung ist die Sicherung bzw. der Erhalt der Arbeitsplätze. Unser Hauptziel und vor allem unsere Hauptverantwortung in dieser Krise liegt genau darin, nämlich unseren fast 300 Mitarbeitern einen sicheren und vor allem zukunftsfähigen Arbeitsplatz zu bieten. 

Die Hygiene- und Sicherheitsmaßnahmen in den Salons werden uns, anders als vielleicht zuerst angenommen, noch einige Zeit weiter begleiten. (Fast) jeder Branchenkollege wird bestätigen können, dass diese Zeit viel Geld kostet und für uns als  Unternehmen einen großen Mehrkostenapparat darstellt, bei deutlich weniger Einnahmen. Die zusätzlichen 3 % dienen bei uns also dazu, negative Ergebnisse zu dämpfen, sie führen NICHT zu einem „Zusatzgewinn“.

Wir haben bewusst nach dem 04.05. auf einen Corona- oder Hygieneaufschlag verzichtet und auch weiterhin in unsere zentralste Ressource, unsere Mitarbeiter investiert. Wir können mit Stolz behaupten, keinen Mitarbeiter krisenbedingt kündigen zu müssen und haben dies auch in Zukunft nicht vor. Wir freuen uns ab dem 01.08. auf 16 neue Azubis und auch unsere Schulungen, die alle Mitarbeiter regelmäßig durchlaufen, sollen ab September wieder anlaufen.

Höchste Priorität ist es jetzt, keine Arbeitsplätze aufs Spiel zu setzen und auch weiterhin einen hohen Qualitätsstandard zu bewahren.Unternehmerische Verantwortung ist vor allem in Krisenzeiten gefragter denn je. Wir übernehmen diese und positionieren uns klar: für unsere Mitarbeiter."

 

 

Gabi Stern Foto: privat
Gabi Stern Foto: privat

Gabi Stern, Gabi Stern - Beauty Team, Asperg

Die Friseurunternehmerin Gabi Stern gibt die Mehrwertsteuersenkung nicht an ihre Kunden weiter. Über einen  Newsletter hat sie sie darüber informiert, dass der Steuervorteil ihren Mitarbeitern zugute kommen wird.

TOP HAIR: Wie waren die ersten Kundenreaktionen auf Ihren Newsletter?
Gabi Stern: Die Kunden haben bisher durchweg positiv auf den Newsletter reagiert. Von "tolle Idee", "sehr gute Entscheidung" bis "freue mich für Ihre Mitarbeiter" waren die Kommentare per Mail, Facebook oder auf Instagram.

Und die Reaktion der Mitarbeiter?
Die Mitarbeiter waren total überrascht und finden diese Entscheidung super. Gleichzeitig ist es auch ein Ansporn für sie, mehr Dienstleistungen zu verkaufen.

Sie teilten Ihren Kunden mit, dass die Umstellung von 19 auf 16 % zu aufwändig sei. Worin genau liegt der Aufwand?
Das Umzeichnen der Ware und die Umstellung der Dienstleistungen und Preise am PC sind doch sehr aufwändig, da mein PC-Programm dies nicht automatisch macht.

Erhalten die Mitarbeiter den Bonus dann nach Ablauf der sechs Monate oder wird der monatlich ausgezahlt?
Der Bonus wird monatlich ausgezahlt, um die, die leistungsorientiert arbeiten, noch ein bisschen anzuspornen.
 

 

Mehrwertsteuer – das falsche Signal

Ein fataler Trend
"Bis in die 70er Jahre des letzten Jahrhunderts war die Friseurwelt preislich in Ordnung. Es reichte, um die neue Ladeneinrichtung bar zu bezahlen und um das zuvor gemietete Haus am Stadtplatz zu kaufen. Dann kamen in der 80er-/90er Jahren die "Dauerwellbuden" mit Komplettangeboten für die Dauerwelle für 29,90 DM und in den 90er-Jahren und den 00er-Jahren dieses Jahrhunderts die Segnungen des "10-EURO-Salons". Die Entwicklung kannte preislich nur eine Richtung: abwärts. Jetzt soll es die Absenkung der Mehrwertsteuer auf 7 % bringen.

Dummer Verbraucher
Die 16 % Mehrwertsteuer vom 1. Juli bis 31. Dezember 2020 sind so etwas wie ein Testlauf. Wie reagiert der Verbraucher? Fordert er eine gesenkte Mehrwertsteuer als Preisnachlass ein, landet der Preisvorteil bei ihm. Damit würde im Friseurhandwerk die nächste "Preisrunde" eingeläutet. Davon hätte kein Friseurunternehmen etwas.

Wird der Vorteil der Mehrwertsteuer nicht weitergegeben, erhöhen sich Gewinn und Liquidität bei den Friseurunternehmen. Im schlimmsten Fall reagiert der Kunde/die Kundin durch verlängerte Besuchsabstände und bringt die persönliche Preisbilanz in punkto Friseur auf diese Weise wieder ins Lot. So war es bisher. Von einem Imageschaden für das Friseurhanderk ist zudem auszugehen, der "teure Friseur"! Wieder mal.

Fallstrick: gewinnabhängige Steuern.
Die gut 75 % Mikro- und Minisalons in Deutschland haben mit gewinnabhängigen Steuern wenig am Hut. Die "guten" und wirtschaftlich solide betriebenen Salons jedoch sehr wohl. Im Falle einer Mehrwertsteuersenkung sogar massiv! Ein regelrechter "Steuerschock" droht bei Einkommen- und Gewerbesteuer.

Die Folge ist, dass den "Guten" finanziell ein ordentlicher Knüppel zwischen die Beine geworfen wird. Mit der weiteren Folge, dass die Mikro- und Minisalons mittelfristig ihre Marktposition stärken können. Der Frust bei den "Guten" wegen des leistungsfeindlichen Steuersystems verstärkt sich einmal mehr.

Besser ist "trading up"
Mit einer demonstrativ und publikumswirksam propagierten Mehrwertsteuersenkung ließe sich beim "Wahlvolk" Emotion und Stimmung auslösen. Der Verstand ist dann erst mal ausgeschaltet. Plakative Parolen bergen die Gefahr, dass Rattenfängerei betrieben wird. Das Ergebnis ist bekannt.

Punktuell ist eine nicht weitergegebene Absenkung der Mehrwertsteuer für das Friseurhandwerk in Coronazeiten eine sinnvolle Sache. Gewinn ist da sowieso nicht das dominierende Thema. Ansonsten verstärkt die Maßnahme den strukturellen Wandel in Richtung Mikro- und Minisalons. Der Entwicklung eines wirtschaftlich gesunden und leistungsfähigen Friseurhandwerks ist eine solche allgemeine Absenkung nicht förderlich.

Wie wäre es mit beherztem "trading up"? Die Friseurdienstleistung mit breit angelegten Maßnahmen und Aktivitäten zur Luxusmarke machen! Servicequalität und Leistungsniveau auf Höchstniveau! Gut, das ist mühsam und nicht so publikumswirksam zu verkaufen. Also für die "politische Klasse" nicht interessant. Für das Friseurhandwerk insgesamt bringt "Spiegelfechterei" jedoch nichts, befriedigt nur das Ego der "Retter". Ob das "Stimmvolk" wirklich so dumm ist? Der Krug geht so lange zum Brunnen bis er bricht. Da ist was dran!"

Autor: Ralf Osinski