Foto: Shutterstock_Ales Munt

24.02.2022

Langzeitprojekt Mehrwertsteuersenkung

Seit Jahrzehnten fordert die Friseurbranche für sich einen ermäßigten Mehrwertsteuersatz. Könnte die Pandemie der Forderung endlich den gewünschten Nachdruck bringen?

Ganze Kampagnen hatte der Zentralverband des Deutschen Friseurhandwerks (ZV) in den vergangenen 20 Jahren bereits ins Leben gerufen, um der Forderung für einen reduzierten Mehrwertsteuersatz Nachdruck zu verleihen.

Auch in den zurückliegenden zwei Jahren Pandemie war die Forderung nach einem Mehrwertsteuersatz von 7 % auf Friseurdienstleistungen ein Mantra des Verbands. Etwa kurz vor dem Ende des ersten Lockdowns verlieh der ZV diesem alten Anliegen und weiteren mit einem politischen Forderungspapier Nachdruck. Im Rahmen des kürzlich digital abgehaltenen Auftaktseminars der Obermeister*innen machte sich dennoch Ernüchterung breit: Man solle nicht so viele Hoffnungen reinstecken, hieß es da. Rechtlich seien 7 % Mehrwertsteuer möglich, man werde jedoch kaum jemanden finden, der es umsetzen wolle. „Es gibt derzeit keine politische Partei, die das 7 %-Mehrwertsteuer-Thema ansprechen möchte“, musste ZV-Hauptgeschäftsführer Jörg Müller feststellen: „Alle Parteien winken ab – selbst die FDP.“  

Im Telefonat mit TOP HAIR gibt sich Müller dann nicht so pessimistisch: „Bei dem Thema fehlt zwar der politische Wille“, sagt er klar. „Wir arbeiten aber bei den Corona-Hilfen daran, dass wir wegkommen von dem Gießkannen-Prinzip, hin zu maßgeschneiderten Hilfen für einzelne Branchen. Und da sind die 7 % wieder ein Thema.“

Chancen stehen besser

Aufgeben wolle man das Thema Mehrwertsteuersenkung also nicht. Es gebe zudem noch andere Möglichkeiten, dem drohenden Strukturwandel der Branche entgegenzuwirken: Wenn Solo-Selbstständige verpflichtend voll in das Sozialversicherungssystem einzahlen müssten, wäre die Wettbewerbsverzerrung durch umsatzsteuerbefreite Mikrobetriebe relativiert, erklärt Müller. Ein Anliegen des Verbands, das schon lange vor Corona aufs Gleis gesetzt worden sei. Corona könnte der Branche aber in die Hände spielen: „Die Chancen haben sich etwas verbessert für unsere Forderungen“, ist Müller überzeugt von maßgeschneiderten Lösungen. „Es bedarf eines politischen Willens, das haben die Vergangenheit und die Kampagnen gezeigt, sonst wird das nichts.“

Gibt es den politischen Willen?

Der scheint tatsächlich gegeben: Schon länger beäugen die Spitzenverbände die Solo-­Selbstständigkeit kritisch. Anfang 2020 gaben ZDH und DGB nach aktiver Mitwirkung des ZV eine gemeinsame Erklärung ab: Der „erhebliche Zuwachs“ an Solo-Selbstständigen wirke sich „in vielfältiger Weise auf die Wettbewerbs­situation der Unternehmen, das tarifpolitische Gefüge in einzelnen Handwerkszweigen sowie die Handwerksorganisation“ aus. Sorge machen dem ZDH und der Gewerkschaft „die gezielten Unterbietungsstrategien“, die „einem fairen Leistungswettbewerb schaden.“ Gemeinsam fordern sie obligatorische Beiträge von Solo-Selbstständigen für die Altersvorsorge, die Unfall-, Kranken- und Pflegeversicherung.

Außerdem plädieren sie dafür, dass die Kleinunternehmergrenze des § 19 UstG korrigiert werde und die „Umsatzsteuergrenze (Anm. d.Red.: sie entspricht der Mehrwertsteuer) als echte Bagatellgrenze ausgestaltet wird“. Dass die Umsatzsteuerbefreiung für Kleinstgewerbe ganz abgeschafft wird, da waren sich die Diskussionsteilnehmer*innen beim Obermeister-Seminar einig, wird wohl nicht geschehen – politisch nicht gewollt. Auch im Koalitionsvertrag der neuen Ampel-Regierung findet sich das Thema – wenn auch nur sehr knapp gehalten – wieder: „Wir werden für alle neuen Selbstständigen, die keinem obligatorischen Alterssicherungssystem unterliegen, eine Pflicht zur Altersvorsorge mit Wahlfreiheit einführen.“

Politik ist nicht Social Media

Wird sich also vielleicht bald einiges in der Friseurbranche zum Besseren wenden? Die obersten Branchenvertreter sind optimistisch, gleichzeitig warnt Müller vor zu viel Erwartungsdruck, über den er sich auch in den sozialen Medien wundert. „Von jetzt auf gleich funktioniert in der Politik nicht“, mahnt er: „Die politischen Stellschrauben sind andere als bei Facebook und Co.“

„Aber die Gastronomie …“

Gerne wird unter Friseuren die Gastronomie als Vergleich herangezogen: bessere Lobby, mehr Hilfen, bessere Durchsetzungskraft, besseres Standing ... Der Verband kennt diese Aussagen. Dass die Gastronomie – zeitlich begrenzt und nur für Speisen zum Mitnehmen – die Mehrwertsteuer auf 7 % reduziert bekam, sieht auch ZV-Präsidentin Manuela Härtelt-Dören als Kompensation der Politik für den viel längeren Lockdown der Wirtshäuser und Restaurants und die länger andauernden und strikteren Regeln mit 2G und 2G+ als bei allen anderen Branchen. Immerhin durften die Friseur*innen als eine der ersten wieder öffnen und dies vielerorts unter 3G. Die ZV-Präsidentin war sich in der Runde ihrer Obermeister*innen sicher: „Wir haben in Berlin das bessere Standing.“

 

Autorin: Yvonne Rieken