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19.02.2020

Grenzenlos: ein Kommentar zur Kleinunternehmerregelung

Fairer Wettbewerb Adé? Unser Steuerexperte Holger Püschel hat sich Gedanken über die Auswirkungen der Kleinunternehmerregelung auf die Friseurbranche gemacht.

Die Kleinunternehmerregelung des § 19 Umsatzsteuergesetz erhitzte schon immer die Gemüter im deutschen Friseurhandwerk. Nach dieser Vorschrift bleiben Unternehmer von der Umsatzsteuer befreit, wenn sie einen bestimmten Jahresumsatz nicht überschreiten. Kleinstfriseurbetriebe sind demnach gegenüber traditionellen Salons im Vorteil. Weil sie keine Umsatzsteuer abführen müssen, können sie ihre Leistungen günstiger anbieten oder haben bei gleichem Preis mehr verdient. Zudem werden Kleinstfriseurbetriebe von den Finanzämtern offenbar nur wenig überprüft.

Wie viele solcher Kleinstfriseurbetriebe es in Deutschland gibt, ist nicht exakt bekannt. Ob ein Abgleich der Umsatzsteuerstatistik mit der Handwerksrolle verlässliche Ergebnisse liefert, ist noch nicht ausreichend untersucht. Man spricht aber bisweilen von nahezu 25.000 Friseurbetrieben in Deutschland, die unterhalb der Kleinunternehmergrenze arbeiten.

Nun ist es passiert und der Gesetzgeber hat die Grenze für die umsatzsteuerfreien Kleinunternehmer erstmals seit 2003 angehoben. Sie beträgt ab dem Jahr 2020 nicht mehr 17.500 Euro jährlich, sondern 22.000 Euro!

Wie wird eine solche gesetzliche Änderung begründet? Dazu gibt es einige, durchaus nachvollziehbare Überlegungen. Die Anhebung der Kleinunternehmergrenze führe zu weniger Bürokratie und geringerem Verwaltungsaufwand. Außerdem werde dadurch eine Existenzgründung erleichtert und helfe Startup-Unternehmen auf die Beine. Auch der allgemeinen Preisentwicklung sei mit der Anhebung im Sinne eines Inflationsausgleichs Rechnung getragen.

Aber was ist mit dem fairen Wettbewerb? Was der Europäische Gerichtshof (EuGH) dazu sagt, teilen viele Branchenkenner nicht. Nach dem EuGH seien durch die Kleinunternehmerregelung keine gravierenden Wettbewerbsverzerrungen zu erkennen (EuGH-Urteil vom 26.10.2010, C 97/09). Für das Friseurhandwerk muss man bei einer fast 20-prozentigen Steuerdifferenz zwischen Kleinstbetrieb und traditionellem Salon aber wohl durchaus von wettbewerbsrelevanten Eingriffen des Steuerrechts in das Wirtschaftsleben sprechen.

Als wären das nicht Kontroversen genug, setzen die Finanzminister der EU-Mitgliedsstaaten noch einen drauf. Sie haben am 08.11.2019 getagt und eine Höchstgrenze beschlossen, bis zu der jeder Mitgliedsstaat seinen eigenen maximalen Kleinunternehmerumsatz festlegen kann. Die EU-einheitliche Jahresumsatzhöchstgrenze beträgt nach der Festlegung der Finanzminister 85.000 Euro und kann bis zum Jahr 2025 umgesetzt werden! Man reibt sich die Augen. Das würde nicht nur eine Wettbewerbsverzerrung bedeuten, sondern die deutsche Friseurlandschaft womöglich nachhaltig verändern. Schon heute ist eine so genannte Mikronisierung des Marktes zu beobachten, das heißt, die Geschäftseinheiten werden immer kleiner. Bei einer umsatzsteuerfreien Grenze bis 85.000 Euro werden sich viele Friseure überlegen, ganz allein zu arbeiten, weil es kaum profitabler geht. Gibt es dann einen Run auf die Meisterprüfung, weil alle selbständig werden wollen? Kommt plötzlich Goldgräberstimmung unter allen Friseuren auf?

Oder bleibt es dabei, dass Kunden sich in einem traditionellen Salon einfach wohler fühlen, ein breites Dienstleistungsangebot, Salonvitalität, Flexibilität und Öffnungszeiten zu schätzen wissen? Und arbeiten Friseure und Friseurinnen am Ende doch lieber als Angestellte im Team und mit vielen Menschen, anstatt als Einzelkämpfer den Gewinn zu optimieren? Ist die Selbständigkeit trotz höheren Einkommens bei den vielen kaufmännischen Pflichten, organisatorischen Aufgaben, Arbeit mit Finanzbehörden und Steuerberatern wirklich so attraktiv? Oder hat nicht doch ein sozialversicherungspflichtiges Beschäftigungsverhältnis entscheidende Vorteile bei der Rente, beim Urlaub, bei Krankheit und im Mutterschutz?

Womöglich trägt ein solches Kleinunternehmergesetz gar dazu bei, dass sich junge Schulabgänger wieder vermehrt mit dem Friseurberuf anfreunden und die Wahl zwischen Selbständigkeit und Anstellung sehr spannend finden?

Wir werden es beobachten. Vermutlich steigt die Kleinunternehmergrenze nach und nach an. Ein erster Schritt ist in 2020 gemacht worden, weitere werden folgen. Man wird aufpassen müssen, ob und bei welcher Umsatzgrenze die Auswirkungen spürbar werden. 85.000 Euro sind ja nur die Höchstgrenze. Der deutsche Gesetzgeber kann frei entscheiden, welche wirtschaftliche Landschaft er im Dienstleistungssektor bei kleinen Selbständigen langfristig bevorzugt.

Text: Holger Püschel