13.10.2016

Feingefühl, Geduld und Verständnis

Die Arbeit mit demenzkranken Kunden ist nicht immer leicht und kann zugleich sehr erfüllend sein. Drei Menschen berichten von Ihren Erfahrungen und beschreiben die Arbeit als Herausforderung mit Glücksgefühl.

Einmal pro Woche arbeitet Friseurmeisterin Michaela Madeo-Smit im Altenheim Haus Schwansen in Rieseby. Es ist der Besuch einer anderen Welt.

Ganz nah

Fast jeden Tag kann man Michaela Madeo-Smit in ihrem Salon in Rieseby treffen. Am Donnerstag Vormittag aber sucht man sie dort vergeblich. In aller Frühe nämlich setzt sich die Friseurmeisterin morgens ins Auto und fährt zum Altenheim Haus Schwansen, um den Bewohnern die Haare zu schneiden.

Jeden einzelnen Kunden holt die Friseurin im Aufenthaltsraum ab. Man kennt ihr Gesicht, und an eine Dienstleistung, wie sie sie bietet, können sich die meisten auch noch erinnern. Wenn die Friseurin sagt: „Sie haben einen Termin. Wollen wir gehen?“, dann nehmen die Heimbewohner gern ihren Arm und lassen sich führen.

Gut vorbereitet

Seit inzwischen 14 Jahren gehört sie zum Haus und bietet meistens einmal, in Ausnahmefällen zweimal pro Woche ihre Dienste an. Für sie ist es mehr als irgendein Job. Gründlich bereitet sich Michaela Madeo-Smit auf ihre Kunden vor, liest die Biografien von neuen Bewohnern, um mit ihnen schöne, persönliche Gespräche führen zu können. Wie mit ihnen umzugehen ist, hat sie lernen müssen. Sie hat Seminare besucht, und manchmal kam das Verständnis auch erst mit dem Scheitern. So gab es einen Versuch, die Patientin zu ihrem Salon zu fahren, um sie dort zu bedienen. „Sie war fix und fertig!“, erinnert sich Michaela Madeo-Smit. „Das haben wir sofort eingestellt.“

Sehr aufgeräumt sieht der kleine Salon aus. Nichts darf herumliegen, auch das hat die Fachfrau gelernt: „Unsere Patienten nehmen alles mit, weil sie es vor möglichen Dieben in Sicherheit bringen wollen.“ Also trägt sie ihr Werkzeug bei sich; Kunden, die durch Spiegel verwirrt werden, setzt sie eben an den Frisiertisch. Immer wieder rückversichert sie sich, fragt nach, ob alles gut ist, ob die Behandlung angenehm ist, ob etwas fehlt.

Doch trotz aller Empathie und allem Verständnis kommt es hin und wieder vor, dass die Expertin nicht weiterkommt bei ihrem Kunden, dass jemand sich trotz allen Zuredens nicht die Haare waschen lassen will. Das ist nicht weiter schlimm. Mit dem Personal vereinbart Michaela Madeo-Smit dann einen neuen Termin – und zu dem kommt der Patient geduscht. Auch die Trockenhaube ist häufige Ursache für Aufregungen. Immer wieder, sagt die Friseurin, müsse man das laute Geräusch erklären und auch mal die Haube abnehmen.

So höflich, so vornehm!

Dennoch schwärmt sie von ihrer Arbeit: „Man bekommt so viel zurück! Es sind so dankbare Kunden!“ Und oft sehr liebesbedürftig. Immer wieder, so berichtet Michaela Madeo-Smit, drücken die Patienten ihren Arm, streicheln ihre Hand, schmiegen sich an sie. Sie gibt zu: „Auch wenn ich nie so enge Grenzen ziehen würde wie bei Gesunden, aber manchmal wird es auch mir zuviel!“ Ihre Arbeit im Heim ist anstrengend und fordernd; berührend sind die Begegnungen dennoch.

Michaela Madeo-Smit genießt die zwei ausgedehnten Stunden Mittagspause, sagt sie. Die braucht sie dringend nach dem Vormittag im Heim: „Ich fühle mich geschafft, leer, aber gut!“

Das Honorar im Heim liegt merklich unter dem, was sie in ihrem Salon in der gleichen Zeit verdienen könnte. Es ist ihr egal, weil ihr die Arbeit mit den Kranken mehr ist als bloßer Broterwerb. Michaela Madeo-Smit: „Es ist wie der Besuch in einer anderen Welt, nicht so fordernd, ohne Hektik. Und so höflich, so vornehm!“

 

 

Mit problematischen Kunden kennt sich Coach Andrea Pflügelbauer aus. In ihren Seminaren lernen Friseure den Umgang mit schwierigen Menschen

Umgangsformen

Schätzen Sie mal, wie viele Menschen täglich bei der Arbeit Ihren Weg kreuzen. Es wäre ein Wunder, wenn darunter nicht auch etliche Problemfälle wären: Menschen, die nie zufrieden sind, die alles besser wissen, die ungefragt Beziehungsprobleme lösen oder Lebenskrisen, die ängstlich sind, verstört, krank. In Hamburg lehrt Trainerin und Coach Andrea Pflügelbauer, wie man mit problematischen Menschen oder kranken Kunden umgeht, dabei seinen Job erledigen kann und selbst nicht auf der Strecke bleibt.

Auf keinen Fall, sagt sie, sollte man mit der üblichen Einstellung ans Werk gehen: „Ich mach jetzt meine Arbeit.“ Das, so betont sie, kann nicht klappen. „Gerade bei einem kranken, dementen Kunden muss man zunächst einmal akzeptieren, dass er ist, wie er ist“. Ein Demenzkranker ist weder willens, der Friseurin die Arbeit zu erleichtern oder auch nur zu ermöglichen, noch begreift er die Notwendigkeit, ihr in gewisser Weise entgegen zu kommen. Vielmehr ist sie es, die verstehen muss: dass sie es nämlich mit jemandem zu tun hat, der die Welt nicht mehr ganz versteht, dass sie ihm ihre Spielregeln nicht aufzwingen kann, sondern dass der Kunde das Tempo und auch das Wie der Dienstleistung bestimmt.

Also muss die Friseurin womöglich von ihrer Routine abweichen, um mit dem Kunden – trotz seiner Eigenheiten – zurecht zu kommen. Warum sollte man nicht den Umhang ÜBER die Handtasche legen, wenn die demente Kundin sie partout nicht loslassen will? Warum sollte man sich nicht einen Hocker ranziehen und ihr in einem ruhigen Gespräch das Gefühl von Sicherheit geben? Der direkte Kontakt ist wohltuend für die Betroffenen, das Gespräch auf Augenhöhe, von Angesicht zu Angesicht – und nicht über den Spiegel. „Wenn Sie sie dann leicht am Oberarm berühren oder ihre Hände ergreifen, dann geben Sie ihr Sicherheit und das Gefühl von Nähe!“, weiß die Fachfrau.

In jedem Fall, so Andrea Pflügelbauer, sollte man mehr Zeit als üblich einplanen, denn: „Hektik erzeugt Unruhe!“ Neues, Ungewohntes, Vorgänge und Eindrücke, die ein dementer Kunde nicht einordnen kann – all diese Faktoren verstärken die Desorientierung und machen den Salonbesuch umso komplizierter. Das Gefühl, sicher zu sein, lässt Demenzkranke am ehesten zur Ruhe kommen. Wenn man ihren Rat befolgt und sich auch zwischendurch immer mal erkundigt, ob alles in Ordnung ist, so scheint das im Moment ein bisschen mehr Aufwand zu sein – der sich aber durch einen verkürzten Aufenthalt auch wieder bezahlt machen kann.

 

Axel Meininghaus von der Akademie der Friseure erzählt, dass schon seine Schüler mit an Demenz erkrankten Kunden konfrontiert werden und den Umgang lernen. 

„Wir haben in unserer seit 58 Jahren bestehenden Schule sehr viele treue Modellkunden, die sich ausschließlich und lebenslang bei uns von Schülern bedienen ließen. Einige von ihnen sind im Laufe der Zeit dement geworden, manche nur ein wenig, andere stärker. Das sind Kunden, deren fortschreitende Demenz von uns Trainern notgedrungen wahrgenommen und berücksichtigt werden musste – und dann auch von den Schülern. Die Art und Stärke der Demenz bestimmt dann die Vorgehensweise. In der Regel sind betreuende Menschen bei der Behandlung dabei, sobald die Desorientierung ein auffälliges Maß annimmt. Allerdings werden alle stärker dementen Stamm-Modelle von dem Trainer selbst bzw. nur von fortgeschrittenen Teilnehmern bedient, niemals aber von Anfängern! Sie sollen sich in ihrem neuen Beruf ja erst finden und darauf ihre ganze Aufmerksamkeit verwenden! Ausnahmen machen wir dann, wenn die Schüler sie aus einer solidarischen Einstellung heraus unbedingt gleich bedienen wollen – auch das gibt es. Wird die Desorientierung zu groß, kommen die Betroffenen eigentlich nicht mehr zu uns, weil die Betreuer und die Familienangehörigen es nicht mehr gutheißen.“